Werte und Normen

Für gewöhnlich ist es eine gute Idee, sich an die Kinderstube zu halten. Werte und Normen, wie man sie von klein auf vermittelt bekommt, geben Rückhalt und Orientierung im gemeinsamen Zusammenleben. Bis man eines Tages nach Japan reist und zum Geisterfahrer auf dem Pfad der Tugend wird …

Andere Länder, andere Sitten

Einer der vielleicht häufigsten Sätze, die man von seinen Eltern gehört hat, ist: »Jetzt putz dir endlich mal richtig die Nase und hör auf, immer hochzuziehen!« In Japan ist das genau umgekehrt. Hier heißt es: »Steck bitte das Taschentuch weg und zieh die Nase hoch wie alle anderen auch!« Öffentliches Schnäuzen gilt als rücksichtslos, verbreitet man doch damit seine Schnupfenbazillen. Deshalb zieht man sich zum Naseputzen dorthin zurück, wo es niemand sehen und hören kann, also etwa auf eine Toilette. Auch ein Niesen sollte man, so gut es geht, unterdrücken. Wer erkältet ist, trägt aus Höflichkeit und Respekt einen Mundschutz, um niemanden anzustecken .Auch ein Niesen sollte man, so gut es geht, unterdrücken. Wer erkältet ist, trägt aus Höflichkeit und Respekt einen Mundschutz, um niemanden anzustecken.

Ein weiterer Satz, den auch Sie unter Umständen von Ihren Eltern beim gemeinsamen Essen gehört haben, ist: »Schlürf nicht so!« Wer seine Suppe hingegen in Japan nicht schlürft, erweckt schnell den Eindruck, dass es ihm nicht schmeckt. Hier gehört Schlürfen im wahrsten Sinne des Wortes zum guten Ton und wird als Kompliment an die Küche verstanden.

Wer aber seine Einweg-Holzstäbchen vor dem Essen laut und sichtbar gegeneinander reibt, um die Holzsplitter am Ende zu entfernen, tappt direkt ins nächste Fettnäpfchen: Das macht man nur, wenn man auf Billigware aufmerksam machen will. Rülpsen ist übrigens auch in Japan verpönt.

Beim Zahlen am Ende des Restaurantbesuchs muss man einen weiteren kulturellen Unterschied beachten: Wer hierzulande einen guten Service bekommen hat und kein Trinkgeld gibt, gilt schnell als Pfennigfuchser und nimmersatter Entenklemmer. Im Land der aufgehenden Sonne verfinstert sich selbige schnell wieder, wenn Sie dem Kellner, so wie Sie es als großzügiger Westeuropäer gewohnt sind, ein Trinkgeld für seine Dienste geben möchten. Trinkgeld wird von Japanern als Beleidigung aufgefasst und ist gar nicht gerne gesehen. In Japan sind Aufmerksamkeit, Freundlichkeit und guter Service Selbstverständlichkeiten, die keines weiteren Dankeschöns bedürfen. Es soll sogar vorgekommen sein, dass Kellner (und auch Taxifahrer) ihren Gästen auf der Straße hinterhergelaufen sind, um ihnen das Trinkgeld zurückzugeben. Apropos Taxi: Auch wenn Sie es von zu Hause aus gewohnt sind, die Tür eines Taxis selber zu öffnen, weil nur die wenigsten Fahrer schnurstracks aus dem Wagen springen, um Ihnen zuvorzukommen, lassen Sie dies bitte. In Japan öffnen die Türen wie von Geisterhand, und zwar elektrisch.

Falls Sie für die Fahrt vom Restaurant in Ihr Hotel kein Taxi, sondern die U-Bahn nutzen, machen Sie sich auf einen weiteren kulturellen Unterschied gefasst: Die Zeit im Zug mal eben zum Telefonieren zu nutzen, mag in Deutschland noch toleriert werden, wenn man nicht zu laut und nicht zu sehr über Intimitäten spricht. Im japanischen Nahverkehr, aber auch in der Öffentlichkeit, sind laute Telefonate gar nicht gern gesehen. Mehr noch: Die U-Bahn ist wirklich zum Schlafen da! Für Einheimische ist es völlig normal, in der Bahn die Augen zu schließen und ein Nickerchen zu machen. Die arbeitende Bevölkerung ist früh und viel auf den Beinen und macht sich erst spätabends wieder auf den Heimweg. Hinweisschilder weisen deshalb darauf hin, dass Handyklingeln und Telefonate unterwegs unerwünscht sind. Das Gleiche gilt für laute Gespräche und für lautes Lachen.

Wenn Sie nach der langen Fahrt noch Lust auf einen Snack oder einen Kaffee to go haben, finden Sie an den Bahnhöfen eine reiche Auswahl. Aber denken Sie an zwei Dinge: Zählen Sie um Himmels willen nicht das Wechselgeld nach, da Sie dem Verkäufer damit einen Betrug unterstellen. Und essen oder trinken Sie Ihren Kauf bloß nicht im Gehen. Das gilt als unanständig, weil Essen in Japan einen ausgesprochen hohen Stellenwert einnimmt.

Kennen Sie noch den Satz »Sei bloß pünktlich!« aus Ihrer Jugend? Auch das ist in Japan, Sie können es sich denken, ein wenig anders. Streichen Sie das akademische Viertel aus Ihrem Repertoire: Es ist gerade noch akzeptabel, wenn man exakt zur verabredeten Zeit erscheint. Besser, man kommt fünf bis zehn Minuten zu früh, oder noch besser, eine halbe Stunde früher.

Das Wort »Nein« sollten Sie für die Dauer Ihres Aufenthaltes übrigens auch vergessen. Da wären wir beim Punkt direkte Kommunikation wie in Deutschland versus die indirekte Kommunikation des Lesens zwischen den Zeilen wie in Japan. Aber das ist eine lange, ganz andere Geschichte, die wir Ihnen vielleicht in einer der nächsten Artikel erzählen

 

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